Neue Wege im Kampf gegen Tuberkulose

02. Oktober 2019
Für die Entwicklung eines neuen Wirkstoffs gegen multiresistente Tuberkulose-Erreger wurden Forscher des Jenaer Leibniz-Instituts für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie mit dem Gesamtpreis des 15. IQ Innovationspreis Mitteldeutschland ausgezeichnet. Möglich wird die Innovation durch neue Finanzierungs- und Kooperationsmodelle.

Normalerweise ist es für ein Institut wie unseres, das sich vor allem der Grundlagenforschung widmet, schwer die Kriterien anwendungsorientierter Innovationswettbewerbe zu erfüllen. Trotzdem haben wir den Schritt gewagt und 2019 erstmals am IQ Innovationspreis Mitteldeutschland teilgenommen. Weil wir bei der Entwicklung unserer Innovation nach jahrelanger Forschung an einem wichtigen Punkt angekommen sind und weil wir von ihrem großen Potenzial überzeugt sind“, erinnert sich Dr. Michael Ramm, Forschungskoordinator am Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Institut (Leibniz-HKI). „Dass es dann bereits im ersten Anlauf so richtig geklappt hat, hat uns dann aber doch sehr überrascht“, ergänzt sein Kollege Dr. Florian Kloß, Leiter der Transfergruppe Antiinfektiva am HKI.

Foto: Dr. Michael Ramm, Forschungskoordinator am Leibniz-HKI​​ (Bildnachweis: Anna Schroll​)

Geklappt hat es für das Entwicklungsteam aus Leibniz-HKI, dem Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München sowie der HAPILA GmbH aus Gera in der Tat „so richtig“. Für die Entwicklung eines Wirkstoffs für die Tuberkulose-Therapie auf Basis einer neuen, hochwirksamen Substanzklasse wurden sie mit dem Gesamtpreis des 15. IQ Innovationspreis Mitteldeutschland ausgezeichnet. Der Wirkstoff BTZ-043 bindet an ein Enzym, das vom Erregerbakterium Mycobacterium tuberculosis zum Aufbau der Zellwand benötigt wird. Durch die Blockade entstehen Löcher in den Zellwänden und der Erreger stirbt ab. Dank dieses spezifischen Mechanismus ist BTZ-043 auch gegen hochresistente Formen der Krankheit wirksam und hat – im Gegensatz zu Breitband-Antibiotika – keine negative Wirkung auf andere Bakterien und Keime im Körper. Gleichzeitig hat er das Potenzial, die bisherige Behandlungsdauer der Tuberkulose deutlich zu verkürzen. Der patentierte Wirkstoff ist bereits in einer Tabletten-Darreichungsform verfügbar, was den Einsatz, Transport und die Lagerung in Entwicklungsländern ermöglicht.

Foto: Dr. Florian Kloß, Leiter der Transfergruppe Antiinfektiva am Leibniz-HKI (Bildnachweis: Tom Schulze)

Doch schon lange vor der Preisverleihung hat sich die Teilnahme am IQ Innovationspreis Mitteldeutschland für die Forscher ausgezahlt: „Es war ein absolut lohnendes Erlebnis. Die Präsentationen in den verschiedenen Jurystufen haben uns auch als Team weitergebracht. In den Diskussionen mit den Juroren gab es viele, fachlich fundierte Nachfragen, welche das Interesse und die detaillierte Auseinandersetzung mit unserer Bewerbung gezeigt haben. Durch den persönlichen Kontakt war darüber hinaus der gesamte Wettbewerb für uns ein sehr transparenter und motivierender Prozess“, so Dr. Florian Kloß. 

Mit der preisgekrönten Innovation adressieren die Forscher ein Problem von globaler gesellschaftlicher Bedeutung. Denn die Tuberkulose ist mit circa 9 Mio. Neuerkrankungen und 1,5 Mio. Todesopfern jährlich die weltweit gefährlichste bakterielle Infektionskrankheit. Gleichzeitig steigt durch die seit Jahrzehnten übliche Kombinationstherapie aus mehreren Breitband-Antibiotika die Häufigkeit und Verbreitung multiresistenter Tuberkulose-Erreger. Entsprechend groß ist der Bedarf für neue Antibiotika. „Doch die großen Pharma-Konzerne haben sich fast vollständig aus Forschung zurückgezogen, weil sich die hohen Kosten in den besonders von der Tuberkulose betroffenen Schwellen- und Entwicklungsländern später nicht über den Preis der Medikamente refinanzieren lassen“, berichtet Dr. Florian Kloß.

Deshalb braucht es andere Forschungs- und Finanzierungsansätze. So arbeiten die Forscher des HKI gemeinsam mit dem Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München sowie der Geraer HAPILA GmbH an dem neuen Wirkstoff. Während in Jena der neue Wirkstoff BTZ-043 entdeckt wurde, wird seine Wirksamkeit am Tropeninstitut der LMU München in klinischen Studien geprüft. Das mittelständische Unternehmen HAPILA übernimmt die Prozessentwicklung für die Synthese und Produktion des Wirkstoffs nach allen einschlägigen Vorgaben für Arzneimittel sowie international geltenden Vorschriften. Finanziert wird das Vorhaben bislang zu über 90 Prozent aus öffentlichen Mitteln durch InfectControl 2020, einem Forschungsverbund aus Wirtschaftsunternehmen und akademischen Partnern, das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung, das Bundesministerium für Bildung und Forschung, die European and Developing Countries Clinical Trials Partnership (EDCTP) sowie den Freistaat Thüringen. „Die aktuelle klinische Phase ist finanziert, danach stoßen wir an gewisse Grenzen. Für die kommenden zwei Jahre sprechen wir über einen Finanzierungsbedarf in der Größenordnung von zehn Millionen Euro“, erklärt Forschungskoordinator Dr. Michael Ramm. Man strebe nun Gespräche mit mehreren Ministerien auf Bundesebene an, um die weitere Finanzierung des Verbundprojektes zu sichern.

Der Gewinn des Gesamtpreises beim 15. IQ Innovationspreis Mitteldeutschland dürfte dafür weitere gute Argumente liefern. Doch er war nicht die einzige positive Nachricht dieses Sommers für die Jenaer Wissenschaftler. Bereits im Juni wurde der Grundstein für ein neues, 26 Millionen EUR teures Laborgebäude gelegt. Das „HKI Biotech Center“ soll bis Sommer 2021 bezugsfertig sein und dann Forschungsgruppen beherbergen, die sich biotechnologischen und immunologischen Themen widmen und den Brückenschlag zur Anwendung suchen. „Unsere Transfergruppe Antiinfektiva wird ebenfalls in den Neubau einziehen“, freut sich Dr. Florian Kloß.

Und kurz nach der IQ-Preisverleihung erhielt das Forscherteam die Genehmigung für die Phase IIa-Studie. Die mehrere Teilstudien umfassende Untersuchung wird voraussichtlich im November starten und circa ein Jahr dauern. Im Rahmen der Studie werden an mehr als 70 Tuberkulose-Patienten unterschiedliche Dosen des neuartigen Wirkstoffs getestet werden. „Falls diese Studie erfolgreich verläuft, könnten wir ab 2021 im Rahmen von Phase IIb/c-Studien den Einsatz unseres Wirkstoffs im Rahmen von Kombinationstherapien untersuchen“, blickt Dr. Florian Kloß voraus. Als letzter Schritt vor einer Zulassung als Medikament wären dann Phase-III-Studien notwendig. Bei diesem wird der neue Wirkstoff einem größeren Kollektiv von hunderten oder tausenden Patienten erprobt, um die Wirksamkeit und die Unbedenklichkeit zu bestätigen. Bis dahin werden noch einige Jahre vergehen. Doch das Team ist zuversichtlich, dass am Ende die erste öffentliche Antibiotika-Entwicklung aus Deutschland stehen könnte.

IQ Innovationspreis Mitteldeutschland 2019, Gesamtsieger: Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie e. V. – Hans-Knöll-Institut (HKI) aus Jena in Kooperation mit dem Klinikum der Universität München (LMU), der HAPILA GmbH aus Gera mit den Preisstiftern IHK Halle-Dessau, IHK zu Leipzig und IHK Ostthüringen zu Gera; (v.l.) Reinhard Schröter (IHK Halle-Dessau), Kristin Kirmße (HAPILA GmbH), Dr. Florian Kloß (Leibniz HKI), Dr. Julia Dreisbach (Klinikum der Universität München (LMU), Almut Weinert (IHK Ostthüringen zu Gera), Dr. Gert Ziener (IHK zu Leipzig) (Bildnachweis: Guido Werner/GWP)

Mehr News

„Nachhaltiges Bauen ist weit mehr als Holz“

Der Naturbau-Campus in Oschatz hat es sich zum Ziel gesetzt, den ökologischen Fußabdruck der Bauwirtschaft durch den Einsatz nachwachsender, regional angebauter Rohstoffe zu verringern. Dazu setzt das Projekt auf Qualifizierung von Fachkräften, Aufklärung bei Bauherren und Behörden, die Erforschung neuartiger Produkte und Verfahren sowie den Aufbau regionaler Wertschöpfungskreisläufe.

Deutsche Metropolregionen treffen sich in Hamburg

Am Montag und Dienstag dieser Woche kamen die elf deutschen Metropolregionen zu ihrer diesjährigen Herbsttagung zusammen. Im Mittelpunkt der 67. Tagung des „Initiativkreis Europäischer Metropolregionen in Deutschland“ standen die Themen EU-Förderung, Fachkräfte und Nachhaltigkeit.